Sonntag, 23. Februar 2014

"Ich runzelte die Stirn." Groschenromane für Erstleser

Es wird erleichtert geseufzt, und zwar bevorzugt "Puh!", ungläubig geschaut, und man macht feierliche Gesichter. Man ist putzmunter und fuchtelt ungeduldig mit den Armen, es wird schadenfroh gekichert, die Augen werden erstaunt aufgerissen, der Atem stockt, und nachdem man mit einem mächtigen Satz mitten in die größte Pfütze gesprungen ist, ist man wahlweise klatsch- oder auch pudelnass. Da kann man doch nur noch erbärmlich zittern oder gar gleich wie Herbstlaub durch die Luft wirbeln. Was gewiss urkomisch aussieht, weswegen man aber nicht gleich stocksteif dastehen oder blitzschnell verlegen zu Boden schauen muss.

 

Nein, dies ist nicht das Machwerk eines auf Anschaulichkeit bedachten Viertklässlers, dem das Synonymwörterbuch ein wenig zu locker sitzt. Sämtliche Phrasen habe ich Büchern meiner fünfjährigen Tochter entnommen, ein Überfliegen genügte. Ja, was ist denn da los? So redet doch keiner! Ein so stereotyper, artig aus charakterlosen Versatzstücken sich bedienender Sprachgebrauch würde im wahren Leben das Gefühl hervorrufen, mit einem Sprachprogramm zu kommunizieren, das jetzt auch emoticons kann. Aber ist es wirklich die alltagsferne Ausdrucksweise, die mich immer wieder dazu bringt, solche Bücher zu verstecken oder im Regal ganz nach hinten zu räumen?
Wie sind denn unsere Lieblingsvorlesebücher gestrickt? Reden die da normal? Und siehe da: Manchmal tun sie das. Sie benutzen aber auch Wörter, die kaum ein Kind kennt und sie reimen manchmal ein bisschen: "Frederick, du bist ja ein Dichter!" (...) "Ich weiß es - ihr lieben Mäusegesichter!"" Da ragt ein himmelhoher Mondberg in die geisterblaue Nacht, der an gefrorene Schlagsahne erinnert, ein gewisses Rapunzel wird geschildert als das schönste Kind unter der Sonne, und manchmal ist es auch einfach nur "Wie wenn ich Geburtstag hätte - und Weihnachten wäre außerdem!" Es gelingt kaum, aus Satzfetzen guter Kinderbücher einen stilistisch homogenen Text zusammenzubasteln, weil gute Kinderbücher Individuen sind! In ihnen hausen komplexe Wesen, denen man ohne Weiteres eine eigenständige Existenz zutrauen würde, wohingegen die vermeintlich kindgerechten Identifikationsfiguren der pädagogisch kompilierten Erstleser-Literatur so vorhersehbar sind, dass sie gar nicht anders können als in einer Papierwelt papierene Dinge zu tun. Ich glaube, dass es all diese schlechten Bücher nur gibt, weil Leute aus den falschen Gründen Bücher schreiben. Bücher müssen wachsen wie Babies, aus der Retorte kommen dann eben doch nur genormte Kastenwesen. Horizonterweiterung ausgeschlossen.
Für die Recherche verwendet habe ich Werke aus den Erstlese-Reihen "Lesetiger" vom Loewe Verlag und "Leserabe" von Oetinger, "Der kleine Igel rettet seine Freunde" vom Christina M Butler, und "Luis&Ich" von Cornelia Franz. Als Kronzeugen guter Kinderliteratur durften herhalten "Der Räuber Hotzenplotz",die Märchen der Brüder Grimm, "Die Geschichte von der Gehmaschine" von Erwin Moser, "Peterchens Mondfahrt" und der gute alte "Frederick".

2 Kommentare:

  1. Wir haben letztes Jahr gemeinsam den Hobbit gelesen. (4+6, wobei 4 sich nicht so sehr dafür interessiert hat).
    Der Große liest grad selbst 'Paddington' und liebt Mickey Maus.
    Also: nix 'modernes' hier. :-)

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  2. Oh ja, der Hobbit! Der war in meiner Schultüte, und mein Vater hat ihn mir aus dem Original übersetzt (er ist Amerikaner). Das war toll:) Es gibt aber auch sehr gute Gegenwarts-Kinderliteratur wie Petersson und Findus zum Beispiel. Oder auch die Bücher von Axel Scheffler und Julia Donaldson.

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